Im Interview mit P. Martin Leitgöb

15.07.2020

SAG-Jahreskonferenz, von Links: Prof. Stefan Samerski, Helene Farberová, P. Martin Leitgöb 

P. Martin Leitgöb ist Priester und seit 2012 Administrator in der deutschen römisch-katholischen Pfarrei in Prag in der Kirche Sankt Johannes Nepomuk am Felsen. P. Leitgöb war von 2014 bis 2019 auch als geistlicher Beirat der Sdružení Ackermann-Gemeinde tätig. Da P. Leitgöb doch leider Ende August Prag verlassen wird, um zu einer neuen Kirche in Deutschland zu gehen, haben wir beschlossen ein Interview mit ihm zu führen, in dem er auf sein Leben und seine Erfahrung in der Tschechischen Republik zurückblickt. 

Wir danken P. Leitgöb für eine sehr schöne Zusammenarbeit, insbesondere in seiner Tätigkeit als geistlicher Beirat der SAG, und wünschen ihm alles Gute für seine neue Arbeit in Deutschland.



SAG: Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, in Prag als in Pfarrer tätig zu werden?

Martin Leitgöb: Ich hatte vor zehn Jahren, als ich im Rahmen meiner Ordensgemeinschaft in Wien arbeitete, das Gefühl, dass e seine Veränderung braucht. Und dann bin ich aus verschiedenen Gründen auf Prag aufmerksam geworden. Eigentlich wollte ich hier etwas ganzanderes machen. Ich wollte hier an der Kirche zum hl. Kajetan ein offenes Angebot für Touristen und Passanten machen. Dafür hatte ich auch die Ermutigung meiner österreichischen Ordensleitung. Nach einiger Zeit wurde dann deutlich, dass die deutschsprachige katholische Gemeinde einen neuen Seelsorger braucht - und ich wurde gefragt.


SAG: Man kann sich vorstellen, dass es eine starke Umstellung zu Wien war.


Leitgöb: Schon vor langem - so um meine Priesterweihe herum - habe ich erkannt, dass wenn man sich als Priester bemüht, einigermaßen menschlich zu sein, einem dann auch viel Menschlichkeit zurückgeschenkt wird. Das ist ein Grundgesetz, das ja wahrscheinlich nicht nur in der Seelsorge, sondern in jedem Bereich gilt. Und das gilt im Grunde genommen an jeder Stelle, ganz egal wo man ist.

Insofern gab es nicht so viel Umstellung zwischen den einzelnen Stellen. Aber natürlich, im konkreten praktischen Leben waren Wien und Prag schon anders. In Wien lebte ich in der Gemeinschaft unseres Ordens, hier in Prag hatte ich einen Einzelposten. Das macht im alltäglichen Leben einen großen Unterschied.

Aber ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung, auf mich allein gestellt zu sein mit allen Herausforderungen, zum Beispiel, dass man sich selbst versorgen muss, aber auch, dass man sich noch viel starker um das persönliche geistliche Leben bemühen muss. Im Kloster ist man in das Gebetsleben einer Gemeinschaft eingebunden, auf einem Einzelposten muss man das stärker selbst im Blick bewahren.


SAG: Wie hat sich die Arbeit als Seelsorger unterschieden von dem, was Sie vorher gemacht haben? Gab es auch Änderungen in Ihren persönlichen Ansichten?


Leitgöb: Das Leben ist insgesamt jeden Tag ein Lernprozess. Und so habe ich auch in Prag neue Dinge erfahren und erlebt. Neu war die Arbeit in einer Gemeinde mit allen Dimensionen, auch mit der Verwaltungsarbeit. Tendenziell bin ich nicht der Typ für Administration. (lacht) Ebenfalls ziemlich neu war der Religionsunterricht an der Deutschen Schule. Dieser Unterricht wird übrigens hier in Prag ökumenisch durchgeführt. Die evangelische Pfarrerin und ich, wir machen das im Teamteaching.

Und damit bin ich beim Nächsten, was ich in Prag ganz neu erfahren und gelernt habe: die Ökumene. In Österreich hat man es ja hauptsächlich mit der katholischen Kirche zu tun. Hier in Prag arbeitete ich gerne mit der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde zusammen. Unsere Ökumene habe ich als sehr fruchtbar erlebt, auch für mich persönlich.

SAG: Sie werden aus Prag Richtung Deutschland weitergehen, wo sie für ihren Orden eine Gemeinde übernehmen. Was erwarten Sie?

Leitgöb: Ich freue mich, auf eine neue Herausforderung zu zugehen, von der ich nicht weiß, wie sie konkret aussehen wird. Mit jeder neuen Herausforderung lernt man sich auch selbst ein Stück weit besser kennen. Darauf freue ich mich vielleicht am meisten. Die neue Gemeinde wird etwas größer sein als jene in Prag, und ich weiß, dass e seine sehr lebendige Gemeinde ist. Außerdem freue ich mich, dass ich als Kind des Landes, das seit dem 18. Lebensjahr in Städten lebt, jetzt wieder in einem ganz ländlichen Gebiet sein werde. Ich mag zwar das Stadtleben und werde es auch ein Stück weit vermissen. Aber am Land gibt e seine ganz eigene Lebensqualität.


SAG: Sie haben auch früher mal gesagt, dass Sie den Wunsch haben, mit Ihrer Arbeit eine lebendige Kirche mitzugestalten.


Leitgöb: Lebendige Kirche heißt, dass möglichst viele Menschen den Glauben in lebendiger Form für sich und ihr Leben entdecken. Lebendige Kirche bedeutet eine Vielzahl von Menschen, die sich mit ganz unterschiedlichen Begabungen in das Gemeindeleben einbringen. Alle sind von einer gemeinsamen Verbundenheit im Glauben getragen. Das durfte ich wirklich die letzten acht Jahre in Prag sehr schön erlebt. Ich selbst habe aus der Arbeit in der Seelsorge viel mehr erhalten als ich geben konnte.


SAG: Tschechien ja als sehr säkularisiertes Land bekannt ist. Sehen sie hierin einen Gegensatz zu Österreich oder Deutschland?

Leitgöb: Ich habe ehrlich gesagt Zweifel an der These von der starken Säkularisierung Tschechiens im Unterschied zu Deutschland und Österreich. Diese Länder sind heutzutage mindestens genauso säkularisiert. Allerdings gibt es in Deutschland und Österreich eine stärkere kulturelle Religiosität. Aber das ist eben eine kulturelle Religiosität. Wenn man sich beispielsweise die Zahlen jener Menschen anschaut, die am Sonntag einen Gottesdienst besuchen, dann sind die Zahlen in Wien nicht so verschieden von Prag. Umgekehrt habe ich in Prag sehr viel lebendiges Christentum und sehr viele lebendige Gemeinden erlebt. Ich habe häufiger in der Prager Herz-Jesu-Kirche Gottesdienstvertretungen gemacht. An einem gewöhnlichen Montag um acht Uhr in der Früh waren da an die 50 Leute. Ich wüsste im Moment keine gewöhnliche Wiener Pfarrkirche mit einer ähnlichen Situation. Deswegen also zweifle ich an dem grundsätzlichen Unterschied, was die Säkularisierung in den unterschiedlichen Ländern betrifft.


SAG: Wie haben Sie sich ganz grundsätzlich als Österreicher in Tschechien gefühlt? Gab es auch unangenehme Erfahrungen?


Leitgöb: Eigentlich habe ich fast nur positive Erfahrungen gemacht. Dazu möchte ich von einem Symbol erzählen: Am Eingang zum Garten unserer Kirche stehen alte Skulpturen, unter anderem ein großer böhmischer Löwe, aus Stein gehauen. Der war früher einmal auf der Kirchenfassade, da wurde er dann erneuert, und so findet sich der ursprüngliche Löwe bei uns im Garten. Weil er schon ziemlich alt ist, fehlt ihm das Maul. Erst neulich habe ich mir gedacht: Das ist ein Symbol für meine Erfahrungen hier in Prag. Der Böhmische Löwe hat mich nie gebissen. Zwischen den Ländern ist es das Gleiche wie in der Seelsorge: Wenn
man sich bemüht, offen zu den Menschen zu sein, dann kommt Offenheit zurück, egal welcher Nation man angehört.

SAG: Sie waren auch lange Geistliche Beirat des Sdružení Ackermann-Gemeinde (SAG). Wie sind Sie dazu gekommen?


Leitgöb: Ich weiß nicht mehr, in welchem Jahr genau es war. Jan Heinzl war damals Geschäftsführer des Sdružení Ackermann-Gemeinde, und wir hatten als ein gemeinsames Projekt zwischen SAG und unserer Gemeinde eine Tagesfahrt nach Želiv und Kralice. Auf der Rückfahrt nach Prag haben mich Jan Heinzl und Helena Faberová gefragt, ob ich mir die Aufgabe des Geistlichen Beirates vorstellen könnte. Die Anfrage kam für mich überraschend, und so erbat ich mir Bedenkzeit. Zugesagt habe ich dann unter anderem, weil ich mir dachte: Wir sind ja ohnehin Nachbarn. (lacht) Und es passte auch gut zusammen. Durch diese Arbeit konnte ich viel im Bereich der deutsch-tschechischen Begegnung lernen, was für mich sehr bereichernd ist.


SAG: Wie genau hat sich Ihre Arbeit als Geistlicher Beirat gestaltet?


Leitgöb: Die Arbeit bewegte sich auf unterschiedlichen Ebenen. Einerseits war ich Ansprechpartner, wenn es bei den unterschiedlichen Veranstaltungen Gottesdienste gab. So gut es ging, habe ich auch versucht, Kontakt zum Büro des SAG zu halten und auch ein Stück weit Seelsorger für die Leute zu sein, die hier im Büro arbeiten. Das ging ganz einfach: Ich kam immer wieder einmal auf einen Kaffee vorbei und stellte die Frage "Wie geht es euch?" Diese Frage ist ja absolut wichtig in unserem menschlichen Zusammenleben.


SAG: Haben Sie eine Idee, wo sich die SAG in Zukunft hin orientieren könnte?


Leitgöb: Im Vergleich zur deutschen Ackermann-Gemeinde handelt es sich beim SAG um eine relative kleine Gemeinschaft - das muss aber kein Nachteil sein. Auch die geringere Organisationsstruktur kann ein Vorteil sein, weil sie vielleicht zu direkteren Begegnungen und zu einer tieferen Lebendigkeit führt. Besonders wichtig sind Begegnungen auf Augenhöhe. Das wünsche ich dem SAG für die Zukunft.

SAG: Ein sehr schönes Schlusswort. Vielen Dank für dieses Gespräch, Pater Leitgöb!