Deutsch-Tschechische Konferenz 2018

24.07.2018

"Europa ist die Antwort auf unruhige Zeiten" 

9 - 11 Februar 2018

"Die Europäische Union ist eine intelligente Antwort auf die Veränderungen des 21. Jahrhunderts." so der ehemalige Präsident des Deutschen Bundestages Prof. Norbert Lammert auf der deutsch-tschechischen Konferenz der Sdružení Ackermann-Gemeinde in Prag. Rund 120 Teilnehmer aus der Tschechischen Republik und Deutschland nahmen an der Konferenz zum Thema "Politische Unruhen in Europa? Tschechische und deutsche Sichtweisen" teil. 

Lammert zufolge führen die Globalisierung und die Digitalisierung dazu, dass die Nationalstaaten immer weniger "Herr ihrer eigenen Angelegenheiten" sind. Es gibt also keine Nationalstaaten mehr, die im wahrsten Sinne des Wortes noch komplett souverän sind. Lammert sprach sich aus für eine Teilung der Souveränität, um so das Weltgeschehen durch gemeinsames Handeln  beeinflussen zu können. Mit diesem Vortrag eröffnete der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung die dreitägige Konferenz in Prag. Für Lammert war es die erste Auslandsreise als KAS-Vorsitzender, wie Matthias Barner, Leiter des KAS-Büros in Prag, betonte, der darin eine Aufwertung des östlichen Nachbarlandes sah.

Der Bundesvorsitzende der Sdružení Ackermann-Gemeinde, Martin Kastler, betonte in seinem Grußwort, dass Europa einen sehr großen Mehrwert hat, auch im weiten Ausland. So hörte Kastler zum Beispiel von Vertretern der Afrikanischen Union, dass sie eben genau das erreichen wollen, was die EU bereits erreicht hat.
"Wir unterschätzen unser Potenzial", so Kastler. Er bekräftigte, dass die Sdružení Ackermann-Gemeinde ihr Engagement für Europa aus christlicher Verantwortung fortsetzen wird. Dr. Tomáš Jelínek, der Direktor des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds, betrachtet die tschechische Gesellschaft als gespalten. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die sich anderen gegenüber offen gezeigt und die internationale Zusammenarbeit gefördert haben. Auf der anderen Seite sind diejenigen, die die Antwort darin sehen, sich abzuschotten und sich nur auf die eigene Nation zu konzentrieren. Gerade die letzte Gruppe müsse für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit gewonnen werden, mahnt Jelinek.

In seiner Rede verwies Lammert zunächst auf ein ermutigendes Ergebnis: Eine überwältigende Mehrheit von 71 % der europäischen Bürgerinnen und Bürger betrachtet die EU als einen Ort der Stabilität in einer turbulenten Welt. Dennoch gebe es viele Gründe, den Integrationsprozess weiterhin zu thematisieren, meint der CDU-Politiker, Die derzeitige Friedensphase sei "ein Ausnahmezustand in der europäischen Geschichte", betont Lammert. "Dank der europäischen Integration ist Gewalt kein Mittel mehr, um die eigenen Interessen durchzusetzen". Die Europäer müssen sich von der Vorstellung verabschieden, dass sie das natürliche Zentrum der Welt sind. "Das geht jetzt schon seit 1918, also seit 100 Jahren so. Das 21. Jahrhundert ist das "Jahrhundert der Globalisierung". Noch nie war die Welt so groß und noch nie war sie so klein. Durch die Digitalisierung sind Informationen zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit überall auf der Welt verfügbar. Diese Tatsache macht Grenzen irrelevant.
Für den ehemaligen Bundestagspräsidenten lautet die Antwort auf diesen Umstand: "Europa". Er sieht es als dringende Aufgabe an, die Zusammenhänge zu erklären. Durch die Ablehnung des Dialogs können die Ängste der Bevölkerung nicht besänftigt werden. Man solle Ängste nicht leugnen, aber auch nicht bestätigen, mahnte Lammert.

In der anschließenden Debatte ergriff Karel Schwarzenberg, der ehemaliger Außenminister der Tschechischen Republik, das Wort. Er war besorgt über die schwindende Attraktivität der demokratischen Parteien. Dies lässt sich in vielen europäischen und westlichen Ländern beobachten. "Wir verlieren langsam unsere demokratischen Strukturen", so Schwarzenberg.

Der zweite Tag der Konferenz befasste sich mit den Wendepunkten der tschechischen Geschichte im 20. Jahrhundert. Der Historiker Dr. Petr Koura, Direktor des Collegio Bohemica in Ústí nad Labem, erzählte vom Oktober 1918, September 1938, Februar 1948 und August 1968. Er zeigte, wie diese Daten für die Einheit oder Spaltung der Nation entscheidend waren und sind.
Im Jahr 1918 kam es zu einer "Arroganz der Macht" der Tschechen und es wurde versucht, den Deutschen die Angst vor dem Leben im neuen Staat zu nehmen. Aus heutiger Sicht, so Koura, sei es erstaunlich, dass die Demokraten die gefährlichen Aktivitäten Hitlers und Henleins bis 1938 zuließen. Dies lässt sich durch die massive Propaganda erklären, die sehr effektiv war. Aber es gab auch vergebliche Versuche, die Deutschen mit Informationen über die tatsächlichen Verhältnisse im Dritten Reich vor dem Münchner Abkommen zu versorgen. "Auch heute noch ist es wichtig, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden", sagte Koura. Die Lehre aus der kommunistischen Machtübernahme im Februar 1948 ist, dass wir die demokratischen Grundsätze nicht aufgeben dürfen. Andere politische Parteien verweigerten diese Grundsätze, indem sie sich an der Verstaatlichung beteiligten, Parteien verboten und die Ausweisung von Deutschen billigten. Die Kommunisten haben die öffentliche Meinung manipuliert und sich auf den vermeintlichen Willen des Volkes berufen, ohne diesem überhaupt die Möglichkeit zu geben, sich in freien Wahlen zu äußern. Koura sieht die ersten Wochen nach der Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 als "eine der besten Etappen der tschechischen Geschichte". Die Menschen haben sich ohne Gewalt und mit Humor gegen ihre Besatzer gewehrt. Er erinnerte auch daran, dass Zehntausende von Tschechen in den Westen geflohen sind. Die Auswanderer wurden im Westen herzlich willkommen geheißen. "Daran sollte sich die tschechische Gesellschaft im Hinblick auf heute erinnern", sagte der Direktor des Collegio Bohemica.